Der Brünner Versöhnungsmarsch 2021

Am Samstag ging es los. Ausgestattet mit gutem Schuhwerk, Sonnencreme, Wasser in Flaschen
und viel Motivation ging es mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die extra hierfür
bereitgestellt wurden ins 32 Kilometer entfernte Pohrlitz/Poho
řelice . An
diesem Ort endete 1945 der Brünner Todesmarsch vorerst in dem dort notdürftig
errichteten Lager. Heute befindet sich dort eine Wiese mit Kreuzen und ein
Denkmal am Rande des Geländes. Im dortigen Massengrab sind 890 Menschen
begraben. 

Allerdings werden diese Zahlen von verschiedenen Seiten angezweifelt, man sagt es seien nur 300. Aber der Pfarrer mit dem wir vor dem Start noch ein
Vater Unser gebetet haben, meinte völlig zutreffend, dass es völlig egal sei,
wie viele es denn nun in Wirklichkeit waren, denn nur ein einziges Opfer sei
schon eines zu viel.

Gleich zu Anfang merkte man die hervorragende Organisation des Marsches und die
tatkräftige Hilfe der tschechischen Polizei. Nicht etwa, dass die
Marschteilnehmer von aggressiven Gegendemonstranten gefährdet gewesen wären,
ganz im Gegenteil! Auch dem Weg begegneten uns immer wieder Passanten, die uns
freundlich zuwinkten und zulächelten. Der Weg verlief aber in weiten Teilen der
Originalstrecke und somit entlang offizieller Straßen. So sperrte die Polizei
immer wieder Teile der Strecke ab, um uns einen sicheren Weg ohne Autos zu
gewährleisten. Nach etwa 10 Kilometern bei Laaz/Ledce wurden wir erstmals mit
Wasser versorgt, was auch sehr nötig war, denn entgegen der Wettervorhersage
(„bewölkt“) schien die Sonne und die Temperaturen waren sehr sommerlich.
Dadurch, dass das Wasser eher aus den Hautporen geschwitzt wurde, wurden die
extra aufgestellten Dixie-Toiletten meist unbenutzt am Wegesrand passiert, auch
wenn diese durch ihre Gestaltung (rosa für die Damen, hellblau für die Herren)
durchaus einladend wirkten.

Verpflegung bei der Hälfte der Strecke

Im Ortskern
von Großraigern/Rajhrad nach ca. 17 Kilometern Wegstrecke erreichten wir den
Ort der Mittagspause. Direkt an der Kreuzung wurde ein Verpflegungsstand
aufgebaut, wo sich die Teilnehmer mit belegten Broten, Würschtel, Obst und
Wasser versorgen konnte. Es gab sogar kühles Bier vom Fass! Hier konnten wir im
Schatten erstmals unsere Füße pflegen, denn fast die Hälfte der Strecke lagen
noch vor uns. Eine weitere nachmittägliche Pause erwartete uns in Mödritz/Mod
řice, wo wir ein weiteres mal im Schatten rasten und unsere
Wasservorräte auffüllen konnten. Dort wurden wir vor der Stadthalle auch sehr
nett durch den Pfarrer und die Bürgermeisterin begrüßt, die in einer kurzen
Ansprache betonte, dass eben auch deutschsprachige Bürger aus Mödritz/Mod
řice anno 1945 auf den Brünner Todesmarsch gezwungen wurden.

Wir hatten
ja fast schon die Stadtgrenze von Brno erreicht, der Weg führte nun entlang der
Autobahn und die Füße brannten zusehends immer mehr. Unsere letzte Station vor
dem Ziel war das Wiener Gymnasium, wo uns für den allerletzten Abschnitt auch
diejenigen begleiten sollten, die nicht die gesamte Strecke zu Fuß zurücklegen
konnten. Und noch zwei, also eher drei spezielle Freunde empfingen uns dort,
nämlich unser tschechischer und in Brno wohnhafter Freund David
Šimek, ehemaliger Vorsitzender von Sojka –
spolek mladých, nebst Gattin. Die beiden konnten nicht am Marsch teilnehmen,
denn sie sind im 7. Monat schwanger, also empfingen sie uns an der Schule, in
die sie einst zusammen gingen und sich dort auch kennen- und lieben gelernt hatten.
Neben dem Gedenken an die Opfer ist dieser Versöhnungsmarsch auch eine Feier
des Lebens, umso größer war unsere Freude, dass nun wieder ein zukünftiger
Teilnehmer für Gaisthal unterwegs ist und im Oktober das Licht der Welt
erblicken wird.

Gedenkstein im Augustinergarten

Die letzten zwei Kilometer wurden
jetzt also von allen beschritten, die auch schon morgens bei der Gedenkfeier in
Pohrlitz/Pohořelice teilgenommen hatten. Es waren sogar noch ein wenig
mehr, wenn auch auf der anderen Straßenseite, denn wenige hundert Meter vor dem
Ziel am Mendelplatz „empfingen“ uns etwa 15 mit Plakaten „bewaffnete“
Gegendemonstranten der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens, im
Durchschnitt in etwa 80 Jahre alt. Im Vergleich zu den Teilnehmern des Marsches
eine geradezu versprengtes Häuflein von Ewiggestrigen. Von den
Marschteilnehmern wurde dies eher amüsiert zur Kenntnis genommen, mit zu Herzen
geformten Händen und vereinzelten „Láska!“-Rufen wurden die Mitmenschen von der
anderen Straßenseite freundlich willkommen geheißen.

Endlich im
Augustinergarten angekommen gab es dann Reden und Grußworte, Gott sei dank in
sehr überschaubarem Rahmen. Die Teilnehmer war glücklich endlich angekommen zu
sein, allerdings teilweise emotional widersprüchlich aufgewühlt. Glücklich
obschon der geglückten Ankunft, aber traurig obgleich des ernsten
Hintergrundes, stolz auf die gemeinschaftlich bewältigte Wegstrecke, aber
irgendwie auch in sich gekehrt und mich sich selbst beschäftigt. Richtig emotional
und aufwühlend wurde es dann noch als alle Leute im Augustinergarten zu den
Klängen der Filmmusik aus Schindlers Liste (hervorragend interpretiert von den
Musikern auf der Bühne) am Denkmal für die vertriebenen Deutschen aus Brünn
Kerzen entzündeten.

Fazit:
Diesen Weg (mit-)gegangen zu sein war eines der beeindruckendsten Ereignisse
meines Lebens. Der rekordverdächtige Sonnenbrand auf meinen Wadeln und meine
kurzfristig um drei Nummern angeschwollene Schuhgröße störten hierbei nicht im
geringsten. Wir waren so sehr mit positiven Energien überflutet, dass wir trotz
Straßenbahn auch noch den letzten Weg vom Augustinergarten ins Hotel zu Fuß
gingen, denn auf die läppischen zwei Kilometer kam es jetzt echt nicht mehr an.

 Peter Polierer