Seit dreißig Jahren ein wundervolles Fleckchen Heimat

Am ersten Oktoberwochenende feierte die SdJ – Jugend für Mitteleuropa e.V. und der Sudetendeutsche Förderverein Zeltlagerplatz Gaisthal e.V. das dreißigjährige Jubiläum des neuen Zeltlagerplatzes in Gaisthal im Oberpfälzer Wald. Im Jahr 1989 wurde der schönste Zeltplatz Deutschlands nach jahrelangem bürokratischem Gezerre und durch unermüdlichen Einsatz zahlreicher Helfer und Gönner unter Schirmherrschaft des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel feierlich eingeweiht. Gemeinsam mit ihren Partnerverbänden Sojka – spolek mladých und Mit ohne Grenzen e.V., die seit nun mehreren Jahren die Zeltlager in Gaisthal umsetzen, lud die SdJ und der Förderverein Gaisthal zahlreiche bedeutsame Persönlichkeiten ein, um gemeinsam dieses Jubiläum zu feiern.

Wie sehr der Zeltlagerplatz dort mittlerweile heimisch ist, wurde auch beginnend durch das Grußwort des dritten Bürgermeisters der Stadt Schönsee, Josef Höcherl, erkennbar. Er betonte, wie sehr die Einheimischen das Zeltlager zu schätzen gelernt haben und dass das Leben vor allem in den Sommermonaten in dem kleinen Ort pulsiert. Eben genau dann, wenn der Ort Gaisthal durch das Lager jünger und lauter wird.

Die Bedeutung des kleinen Örtchens Gaisthal für die SdJ kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn lange bevor dort ein mit allen Annehmlichkeiten ausgestatteter Zeltlagerplatz errichtet wurde, diente das zwischen Schönsee und Oberviechtach gelegene Dorf bereits als Geburtsort der Sudetendeutschen Jugend. Kaum in der neuen Heimat angekommen, gründeten sich erste Gruppen von heimatvertriebenen jungen Sudetendeutschen. Sie gaben sich eine eigene Struktur und wollten bewusst nicht als junge Landsmannschaft, sondern als SdJ auftreten. Erich Kukuk veranstaltete das erste Zeltlager im Jahr 1950. Auch durch die Mithilfe der amerikanischen Truppen beim Transport konnten so die ersten Teilnehmer in Gaisthal das Gefühl der Gemeinsamkeit und Solidarität erleben, welches auch 70 Jahre später noch den absoluten Markenkern darstellt. Bei diesem ersten Sommerlager wurde der SdJ auch die Traditionsfahne durch den ersten Sprecher der Volksgruppe Rudolf Lodgman von Auen überreicht

In der Frühphase, den 1960er Jahren, waren die Anlagen zeitgemäß einfach, um nicht zu sagen primitiv. Gekocht wurde über offenem Feuer, als Toilette diente ein Donnerbalken, gewaschen wurde im kalten Wasser der Ascher. Für die heutige Jugend kaum vorstellbar! Unabhängig von den technischen Voraussetzungen oder dem Budget für Lebensmittel, das Essen ist das erste, was einem Teilnehmer in Gaisthal auch Jahre und Jahrzehnte später ins Gedächtnis gerufen wird. Denn wie Volksgruppensprecher Bernd Posselt bei seiner Festrede am Abend so treffend bemerkte, Heimat gehe schließlich auch immer durch den Magen. Eines hat sich in 70 Jahren nicht verändert, der Anspruch der Köchinnen und Köche, böhmische und mährische Leckereien auf den Teller zu bringen. Die alte Wiese am Gaisthaler Hammer musste allerdings 1976 aufgegeben werden, da der Besitzer sein Sägewerk an dieser Stelle erweitern wollte. Allgemein den Standort aufzugeben, kam allerdings nicht in Frage. So begab man sich auf die Suche nach einem anderen Grundstück. Glücklicherweise konnte auch eines am entgegengesetzten Ende des Dorfes zwischen Wald und altem Schulgebäude gefunden werden.

Über das Mammutwerk der Realisierung des neuen Zeltlagerplatzes „Am Bad“ in den folgenden 13 Jahren berichtete Hans Knapek. Durch den unermüdlichen Einsatz und unglaublicher Geduld zahlreicher Aktiver seitens der SdJ und des Fördervereins konnten die 13 Jahre ohne Sommerlager während intensiver Verhandlungen überbrückt werden. Einerseits lief die Jugendarbeit der SdJ Niederbayern/Oberpfalz in den Nachbarbezirken am Heiligenhof und auf Burg Hohenberg weiter, andererseits fand man sich nie damit ab, dass dieser Gästestatus eine Dauerlösung sein konnte. Denn auch die Solidarität innerhalb der SdJ-Gruppen konnte vormals gelebt werden. So waren anfänglich eben unter anderem die Ober- und Unterfranken ebenfalls aktiv in Gaisthal, als diese noch keine eigenen Lagerplätze hatten. Das Grundstück wurde vom Bundesverband der Sudetendeutschen Landsmannschaft für den Preis von 30.000 DM erworben und ein Erbpachtvertrag mit dem neu gegründeten Sudetendeutschen Förderverein Zeltlager Gaisthal e.V. abgeschlossen. Als man aber von Seiten der Regierung der Oberpfalz mitgeteilt bekam, dass eine Baugenehmigung nie erteilt werden würde, so wandten sich Hans Knapek und Christa Waengler direkt an das bayerische Innenministerium, wohl wissend, dass der ewige Tropfen den Stein höhlt. Es wurden Spenden gesammelt und in unzähligen Arbeitsstunden vor Ort im Schweiße des Angesichts geschuftet. Mit bloßer Muskelkraft konnte das Grundstück selbstredend nicht terrassiert werden. Auch von Seiten der Behörden wurde das anfänglich skeptisch betrachtete Projekt nun immer mehr unterstützt. Besonderen Anteil hatte die bayerische Staatsregierung, die auch eine Förderung durch die Bundesrepublik erreichen konnte. Nach fast anderthalb Jahrzehnten der Mühen konnte im Sommer 1989 die neue Gaisthaler Heimat feierlich eröffnet werden. Zu diesem Anlass reiste viel Prominenz von nah und fern an, aber eben auch eine ungarndeutsche Jugend- und eine tschechische Kulturgruppe. Das ursprünglich sudetendeutsche Projekt war nun international geworden.

Bereits im zweiten Sommerlager auf dem neuen Platz im Jahr 1990 wurden erstmals tschechische Teilnehmer begrüßt. Seit da an gilt das Prinzip der Zweisprachigkeit bei den Jugendmaßnahmen in Gaisthal. Ganz einfach waren die Anfänge nicht, da die tschechischen Partner zu Beginn noch sehr die Prinzipien der Jugendarbeit nach kommunistischer Diktion gewohnt waren. Aber durch Mithilfe des Radiosenders „Free Europe“, der in seinem tschechisch-sprachigen Programm um Teilnehmer für das Zeltlager warb, gelang es in der Folge, junge Menschen nach Gaisthal zu locken. Diese spielten von nun an eine enorm wichtige und gleichgestellte Rolle. So konnte der durch Radio „Free Europe“ aufmerksam gewordene Leopold Černy sein erstes Lager miterleben, der mit Freunden und Verwandten 1996 den tschechischen Jugendverband Sojka – spolek mladých aus der Taufe hob. Die SdJ ist sehr stolz darauf, dass diese Gruppierung seit ihrer Gründung unser Partnerverband ist. In seinem emotionalen Grußwort erläuterte Leopold Černy in einer sehr anschaulichen Weise, was dieser Ort auch persönlich für ihn bedeute. Robert „Bertl“ Leiter, der Trauzeuge von Leopold und seiner Frau – die beiden lernten sich in Gaisthal kennen -, war von 1986 bis 1995 deutscher Lagerleiter, Vorsitzender der SdJ Bayern und maßgeblich an der Entstehung des ersten offiziellen deutsch-tschechischen Zeltlagers beteiligt. In seiner Rückschau berichtete er eindrucksvoll die Vorgeschichte und den Verlauf der ersten professionalisierten Zeltlager, deren pädagogische und organisatorische Grundpfeiler bis in die heutigen Zeltlager bestehen.

Nach so viel Geschichte war der Abend bereits hereingebrochen. Das Zeltlagerurgestein Bernhard Goldhammer berichtete über die Entwicklung in den 2000er Jahren. Abschließend erläuterte der Vorsitzende des Sudetendeutschen Fördervereins Gaisthal e.V. Marcus Baier noch einige aktuelle Details über den Zeltlagerplatz, das Ewigkeitswerk seiner Pflege und die Faszination, die seit jeher von ihm ausgeht. Denn das was die Gründer erschaffen haben, benötigt ständig motivierte Aktive, die ihre Freizeit, ihr Geld und zuweilen ganze Jahresurlaube für Gaisthal investieren, damit dieses Stück Heimat so schön und liebenswert bleibt, wie es immer war.

Der Sprecher der sudetendeutschen Volksgruppe, Bernd Posselt, ließ es sich auch diesmal nicht nehmen, die Festrede zu halten. Immerhin ist er als höchster Repräsentant unserer Gemeinschaft und bekennender Freund der SdJ ein sehr gern gesehener Gast. Posselt erinnerte eindringlich an die Ereignisse des Revolutionsjahres 1989 und die Folgen für Europa und die Bürger des Kontinents. Laut ihm verwundere es nicht, dass die Eröffnung des neuen Zeltlagerplatzes und das paneuropäische Picknick in solch einer zeitlichen Nähe stattfand, schließlich entsprangen beide Ereignisse dem gleichen Geist. Die deutsch-tschechischen Begegnungen seien eine klare Gegenbewegung zu den immer wiederkehrenden Gespenstern der Vergangenheit, ein eindeutiges Bekenntnis gegen jede Form des Nationalismus, des Egoismus und des Populismus. Sie dienen dem altösterreichischen Prinzip der gegenseitigen Achtung, des Respektes und der Verständigung. Auch wenn die SdJ zu Unrecht unter den Jugendverbänden in den 1980er Jahren einer gewissen Rückwärtsgewandtheit bezichtigt worden war, so gelang es ihr eben durch ihr Engagement in Gaisthal in den 1990er Jahren, schnell als Fachverband der deutsch-tschechischen Jugendbegegnung über alle (Partei-)Grenzen hinweg anerkannt zu werden. Dass immer mehr junge Menschen sich wieder für die Geschichte ihrer Familien interessieren und dass der Kontakt zu den tschechischen Nachbarn gesucht und aufgenommen wird, das sei auch eine Folge der Pionierleistung der SdJ, die in dieser Form ihren Ausgangspunkt in Gaisthal genommen hat.

Der Höhepunkt war dann schließlich das Aufstellen des Gaisthaler Freundschaftsbaumes. In Bayern kennt man schließlich die Tradition des Maibaumes. Warum also sollten wir im internationalen Kontext nicht auch mal solch einen im Oktober in die Höhe bringen? Natürlich ist der Stamm aus einheimischem Holz, ein Baum aus dem zum Lagerplatz gehörenden Waldstück. Unterhalb des Kranzes stehen die Logos der für Gaisthal so prägenden Organisationen: die SdJ – Jugend für Mitteleuropa, der Sudetendeutsche Förderverein Gaisthal, Sojka – spolek mladých, MOG – Mit ohne Grenzen und die djo – Deutsche Jugend in Europa. Flankiert werden diese durch die Jahreszahlen 1989 – 2019 und das zeitlose Motto unseres Zeltlagers „Die Zukunft sind wir!“. Mit geballter Muskelkraft wurde der Freundschaftsbaum aufgestellt und nach erfolgreicher Errichtung in einer zweisprachigen Feierstunde durch Hannah Max und Kristýna Šimková seiner Bestimmung übergeben. Logischerweise nicht ohne dies mit altem Gaisthaler Liedgut zu untermalen. Doch damit war die Feier noch nicht vorbei. Wie immer gab es die Gaisthaler Partynacht, die unter der Vorhalle, am Lagerfeuer oder im Aufenthaltsraum noch lange fortgeführt wurde. Dies alles geschah unter dem Schirm der neuen Sehenswürdigkeit, unserem Freundschaftsbaum, der als perfektes Symbol dieses Ortes gelten kann: hochgewachsen durch gute Luft und bestem Essen. Tief verwurzelt wie die Freundschaft, die ihn entstehen ließ.

Peter Polierer & Mario Hierhager