Sehr verehrte Ehrengäste, meine sehr verehrten Damen und Herren,
auch im Jahr 2025 befindet sich unsere globalisierte Welt weiterhin in einem Zustand tiefgreifender und ungewisser Veränderungen. Im Osten Europas führt ein Kriegsverbrecher weiter einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg – mitten in unserem Jahrhundert, mitten in unserer Nachbarschaft. In Gaza und Israel tobt eine menschliche Tragödie, die längst jede politische Deutung übersteigt. Auch in unseren westlichen Demokratien wird die Luft dünner: Das Vertrauen in Institutionen schwindet, die Gesellschaften polarisieren sich, die öffentlichen und privaten Debatten verlieren viel zu oft Tiefe und Anstand, egal auf welcher Seite des Atlantiks.
Im Oval Office residiert erneut die politische wie menschliche Disruption, sprengt nicht Fesseln, sondern Brücken, und Europa muss sich neu sortieren – außenpolitisch, wirtschaftlich und kulturell. Was dabei herauskommt, ist ungewiss. Was aber sicher ist: Diese Umbrüche prägen alle, aber vor allem die jüngeren Generationen, die noch die Zukunft gestalten wollen.
Auch wir – privilegiert und in Frieden in Deutschland lebend – spüren die globalen Krisen längst nicht mehr nur aus der sicheren Distanz. Die Warnungen vor einem möglichen russischen Angriff auf NATO-Territorium werden immer eindringlicher. Gleichzeitig investiert Wladimir Putin massiv darin, Angst und Zweifel in unserer Gesellschaft zu säen und leider hat er damit allzu oft Erfolg. Wenn hierzulande Enthusiasten der Kreml-Propaganda oder zynische Egoisten die Unterstützung für die Ukraine pauschal infrage stellen, oder gar fordern, die Ukraine solle einfach kapitulieren, offenbart das nicht nur ein moralisches Versagen, sondern auch ein gefährliches Missverständnis über die Tragweite dieses Krieges und ist ein abscheulicher Verrat an unseren europäischen Mitmenschen. Das diesjährige Motto trifft deshalb mitten ins Herz der Gegenwart: „Aus Krieg und Vertreibung lernen. Für Frieden und Freiheit kämpfen.“
Für die meisten von uns sind Krieg und Vertreibung Kapitel der Vergangenheit – etwas, das in Geschichtsbüchern steht. Doch Zeitzeugen und die Gegenwart führen uns vor Augen: Frieden ist kein Selbstläufer. Frieden ist kein Zustand. Er ist ein beständiger Auftrag. Ein Auftrag, der Erinnerung verlangt, Haltung erfordert und aktiven Mut für die Zukunft braucht. Viele unserer Vorfahren mussten ihre Heimat verlassen. Sie wurden entwurzelt, vertrieben, entrechtet. Diese Erfahrung prägt bis heute das kollektive Gedächtnis der Sudetendeutschen – und sie prägt auch unsere Haltung mit Blick auf das aktuelle Weltgeschehen. Denn dieses kollektive Gedächtnis erinnert uns daran, dass politische Gewalt, Ausgrenzung und Nationalismus nie abstrakte Kategorien sind. Sie haben konkrete Gesichter. Konkrete Schicksale.
Und genau deshalb ist es unsere Aufgabe als SdJ, diese Erinnerung nicht zu konservieren, sondern in Verantwortung weiter zu tragen. Wir stehen für eine Generation, die aus der Geschichte gelernt hat. Eine Generation, die niemals wieder Flucht, Vertreibung und Vergeltung als Mittel akzeptiert und die Zuschreibung von Universalschuld ablehnt. Eine Generation, die die Menschenwürde über alles stellt – nicht nur auf dem Papier, sondern im Alltag, in der Politik, im sozialen Miteinander.
Doch dieser Anspruch ist gefährdet. Zwei ehemalige Alliierte unterstützen 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg rechtsextreme Kräfte in Deutschland – Kräfte, die im Geiste derer agieren, gegen die sie einst Krieg führten. Das ist keine Nebensächlichkeit. Das ist eine historische Entgleisung.
Wir erkennen diese Gefahr sehr wohl. Wir als SdJ fühlen mit den damals Vertriebenen, wie erst vergangenes Wochenende beim Brünner Versöhnungsmarsch. Wir fühlen mit den drakonisch angegriffenen Menschen in der Ukraine, mit den vertriebenen und im Stich gelassenen Menschen in Gaza und mit den brutal überfallenen und verschleppten Menschen in Israel. Und wir sehen auch die Gefahren, die von der vergifteten Emotionalisierung des politischen Diskurses in den USA und von der sogenannten Alternative in Deutschland ausgehen. Wir lassen uns nicht blenden – weder von rechtsextremer Wut noch von linksextremer Verklärung.
Nur das Schlechte zu sehen, ist aber zu kurz gedacht. Gerade in dieser Krise liegt auch eine neue Kraft. Wir erleben in unseren Reihen eine stille, aber machtvolle Entwicklung: Die Menschen suchen wieder mehr die Gemeinschaft. Sie fragen nach Zusammenhalt. Sie wollen verstehen, woher man kommt – und wohin man gehen kann. Die Arbeit der SdJ – Jugend für Mitteleuropa und ihrer Mitgliedsgruppen steht genau dafür: Tradition ist kein Grabstein wie ein Fels. Sie ist etwas Lebendiges. Etwas Dynamisches. Etwas, das getragen und verändert werden kann, ja muss. Unser Motto, auch für die deutsch-tschechische Zusammenarbeit, lautet: Mehr Gemeinschaft. Mehr Verständnis. Tschechisch-deutsche Gemeinschaft bedeutet: Sehen, was mein Gegenüber braucht, was ich von ihm lernen kann und was wir gemeinsam erreichen können. Deutsch-tschechisches Verständnis bedeutet: Nicht vorschnell urteilen, sondern bereit sein, zuzuhören und andere Meinungen zu respektieren. Beides braucht Kraft. Beides braucht Haltung. Beides braucht Zeit.
Die Preisträger des diesjährigen großen sudetendeutschen Pfingsttreffens, die tschechische Bürgerinitiative Meeting Brno und der Bayerische Ministerpräsident Dr. Markus Söder, haben sehr viel Kraft, Haltung und Zeit investiert für mehr Verständnis und Gemeinschaft zwischen Sudetendeutschen und Tschechen. Beide haben sich in besonderer Weise für die Anliegen der Sudetendeutschen eingesetzt. Sie haben sich beide gegen das unkritische Archivieren und Vergessen gestellt – sondern haben die Erkenntnisse für ein gemeinsames Europa der Zukunft verdeutlicht und verteidigt. Sie haben nicht nur über Verantwortung geredet – Sie haben sie gesehen und getragen.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
wir als SdJ danken Ihnen für Ihre klare Sprache in dieser Sache, für Ihre Offenheit gegenüber der Jugend, und dafür, dass Sie unsere manchmal auch kritische Meinung nicht beiseite wischen, sondern als relevant erachten – auch wenn der Vorsitzende selbst schon kein Jugendlicher mehr ist, aber in seinem Amt nichtsdestotrotz noch immer für deutlich Jüngere spricht.
Meine Damen und Herren,
wir leben in einer Zeit, die uns täglich herausfordert – gesellschaftlich, moralisch, emotional. Aber wir sind nicht ohnmächtig.
Was wir brauchen, ist ein neues Vertrauen: Vertrauen in die Kraft des Zusammenhalts. Vertrauen in die demokratische Streitkultur. Vertrauen in die Idee eines geeinten Europas, das nicht auf Abgrenzung basiert, sondern auf gegenseitiger Achtung.
Wir brauchen wieder mehr Weitsicht und weniger Reaktionismus. Wir brauchen mehr Verantwortung und weniger Schuldzuweisung. Wir brauchen einen klaren Kompass – nicht nur gegen außen, sondern auch nach innen.
Nur so können wir uns wehren gegen die Seelenvergifter unserer Zeit.
Wir stehen hier und laden Sie dazu ein – als Sudetendeutsche Jugend – Jugend für Mitteleuropa. Denn wir handeln im Geiste von Margot Friedländer: Wir bleiben menschlich und wir bleiben Menschen für Frieden, für Freiheit, für Europa.
Mario Hierhager, Vorsitzender SdJ – Jugend für Mitteleuropa e.V.
(Es gilt das gesprochene Wort)